Ambidextrie: Beidhändigkeit als Erfolgsprinzip in der Nachhaltigkeitstransformation

Die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen hängt zunehmend davon ab, wie gut sie in der Lage sind, das Heute zu meistern und gleichzeitig das Morgen aktiv zu gestalten.

Genau hier setzt das Konzept der Ambidextrie an – der organisatorischen Beidhändigkeit. Es beschreibt die Fähigkeit, gleichzeitig Effizienz im bestehenden Kerngeschäft (Exploitation) zu sichern und Innovation für nachhaltige Zukunftsmärkte (Exploration) voranzutreiben.

Ambitextrie als Erfolgsprinzip für die Nachhaltigkeitstransformation

Zwischen Bewahren und Erneuern – kein Entweder-oder

In der traditionellen Wirtschaft steht häufig die kurzfristige Optimierung im Vordergrund: stabile Prozesse, maximale Auslastung, Gewinnmaximierung. Diese Haltung entspricht der Exploitation – der Ausnutzung vorhandener Ressourcen und Geschäftsmodelle.

Demgegenüber steht die nachhaltige Wirtschaft, die langfristig, regenerativ und verantwortungsbewusst agiert. Sie verlangt nach Exploration: neue Wege gehen, mit Unsicherheit umgehen, tragfähige Lösungen für ökologische und soziale Herausforderungen entwickeln.

Warum Ambidextrie heute wichtiger ist denn je

Unsere Welt ist geprägt von Komplexität, Unsicherheit und raschem Wandel. Globale Krisen wie der Klimawandel, geopolitische Spannungen, technologische Disruptionen und der Fachkräftemangel zwingen Unternehmen dazu, sich laufend neu zu erfinden – ohne dabei das Kerngeschäft aus den Augen zu verlieren.

Ambidextrie bietet genau hierfür einen strategischen Rahmen: Sie ermöglicht es, kurzfristig effizient und langfristig anpassungsfähig zu bleiben. Organisationen, die diese Beidhändigkeit beherrschen, können resilient auf Krisen reagieren und gleichzeitig proaktiv Zukunft gestalten.

Nachhaltige und traditionelle Wirtschaft – zwei Logiken, ein Ziel

Ambidextrie bedeutet, dass Unternehmen gleichzeitig zwei wirtschaftliche Logiken leben: die traditionelle (Exploitation) und die nachhaltige (Exploration). Beide verfolgen unterschiedliche Ansätze, ergänzen sich jedoch in einer ambidextren Organisation:

Gelingensfaktoren für Ambidextrie

Damit Ambidextrie in der Organisation wirklich wirkt, braucht es folgende Voraussetzungen:

Gemeinsames Zukunftsbild: Alle Ebenen im Unternehmen müssen wissen, wohin die Reise gehen soll – Exploitation und Exploration dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Beispiel Bosch: Das Unternehmen hat mit seiner Vision „New Dimensions – Nachhaltigkeit leben“ ein unternehmensweites Leitbild geschaffen, das die Verbindung von Technologie, Verantwortung und Wachstum aufzeigt.

Schutzräume für Innovation: Räume, in denen neue Ideen getestet werden können, ohne den Druck sofortiger Rentabilität.

Beispiel EnBW: Mit ihrem Innovationscampus „EnBW Innovation“ in Karlsruhe testet der Energieversorger neue Ideen unabhängig vom Tagesgeschäft, u. a. zu Ladeinfrastruktur und grüner Energie.

Crossfunktionale Teams: Unterschiedliche Perspektiven fördern kreatives Denken und verbinden operative Stärke mit Innovationskraft.

Beispiel Henkel: Für die Entwicklung nachhaltiger Verpackungen bringt Henkel interdisziplinäre Teams aus R&D, Einkauf, Marketing und Nachhaltigkeit zusammen.

Systematische Lernschleifen: Reflexion, Feedback und Anpassung müssen fest in Prozesse integriert sein – Lernen ist der Motor der Beidhändigkeit.

Beispiel Deutsche Telekom: In agilen Projekten wie dem „Digital Lab“ werden regelmäßig Retrospektiven genutzt, um Learnings direkt in die nächste Iteration einzubauen.

Top-Management-Commitment: Ohne echtes Engagement von oben bleibt Ambidextrie ein Schlagwort. Die Führung muss Ressourcen, Schutz und Vorbildfunktion liefern.

Beispiel Vaude: Die Geschäftsführung lebt Nachhaltigkeit als Kernstrategie und stellt dafür Ressourcen, Aufmerksamkeit und eine konsequente Umsetzungskultur bereit.

Führung in ambidextren Organisationen

Ambidextrie verändert die Rolle von Führung grundlegend. Es reicht nicht mehr, klare Ansagen zu machen oder reibungslose Prozesse zu gewährleisten. Ambidextre Führungskräfte müssen in der Lage sein, scheinbare Widersprüche auszuhalten und produktiv zu gestalten:

  • Sie agieren als Brückenbauer zwischen den Welten von Stabilität und Wandel.
  • Sie fördern dezentrale Verantwortung, ohne das große Ganze aus dem Blick zu verlieren.
  • Sie sind Vorbilder für Ambiguitätstoleranz – also die Fähigkeit, mit Unsicherheit, Komplexität und widersprüchlichen Anforderungen umzugehen.

Zukunftsfähige Führung heißt: Orientierung geben, ohne einzuengen. Ermöglichen statt kontrollieren. Dialog statt Direktive.